Amber haben innerhalb kürzester Zeit einige Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Ihr Post-Hardcore/Metal im Stil von Cult of Luna hat über verschiedene Blogs den Weg über den großen Teich gefunden. Zu Recht! Amber machen großartige Musik. Ich kenne Anna (Stimme) noch über ihre alte Gießener Band und hab mich auf den Weg nach Marburg gemacht, um mich mit ihr und Jussi (Schlagzeuger + Songschreiber) zu unterhalten. Nachdem mein Navi kollabierte und mein Scheibenwischer bei eisiger Witterung vor sich bröckelte kam ich ziemlich verspätet in Marburg an. Zu dritt begaben wir uns dann in ein erstklassiges Biedermann-Café nicht unweit des Schlossbergs. Ende April kommt die neue Amber EP namens "Lovesaken" über Halo of Flies (US), Narshada (D) und Protagonist Music (US)! EMPFEHLUNG!
UtopiaNow: Wollen wir anfangen oder erstmal auf den Kuchen warten?
Anna: Nö, von mir
aus können wir anfangen.
UtopiaNow: Wo
sitzen wir hier gerade und seid ihr öfter hier?
Jussi: Also ich
bin zum ersten Mal hier (lacht).
Anna: Also ich so
sitzend auch (hehe). Wir sind hier im Kaffee Klingelhöfer in Marburg
ich würde sagen klassischer...
Jussi: Oma-Treff!
(Gelächter)
Anna: Klassischer
Oma-Treff, ja – mit leckerem Kuchen auf jeden Fall! Traditionshaus!
UtopiaNow: Wohnt ihr beide in Marburg?
Wie lässt es sich hier so leben?
Jussi: Jup
Anna: ja
UtopiaNow: Was hat euch hierhin
verschlagen?
Jussi Ich studier hier, seit 4 ½
Jahren und komme auch hier aus der Gegend.
Anna: Ich bin zurückgekommen, wegen
meines Jobs. Ich bin im Außendienst und habe Marburg als Stützpunkt
und fahre von hier aus in alle Richtungen.
UtopiaNo: Du warst vorher in
verschiedenen anderen Städten, um da dein Glück zu versuchen?!
Anna: Genau,.. nee (lacht) Alle anderen
Städte Siegen, Düsseldorf, Stuttgart waren Studien- beziehungsweise
Praxissemester vor der Diplomarbeit. Und das ist jetzt mein erster
Job danach und meine erste Stadt danach. Ich hab Medizintechnik
studiert und bin jetzt im Außendienst für Herzschrittmacher und
implantierbare Defibrillatoren. Also ich fahr jeden Tag
>>> Der Kuchen wird serviert. Dazu gibt es Kaffe und einen
geschwungen Löffel, der sich durch sein innovatives Design selbst an
der Tasse hält. Holy Moly!>>>
Jussi: Ich studier Lehramt .. In
Marburg gibt’s das nur auf Gymnasium. Als Student hat man da viel
Zeit um Musik zu machen (lacht). Geht schon.
(…)
UtopiaNow: Drehen wir die Zeit
zurück... (Achtung journalistischer Kunstgriff): Wie seid ihr mit
dieser Art von Musik in Berührung gekommen?
Anna: Ich fange mal so 'rum an.. im
Grunde hat jeder aus der Band schon irgendwelche musikalischen
Vorgeschichten. Man entwickelt sich ja auch immer weiter. Für mich
persönlich ist Amber, genau die Art von Musik, die ich schon immer
machen wollte, die ich auch schon sehr lange höre. Es ging immer
wieder in diese Richtung zurück.
Es gab bei mir auch so verschiedene
Phasen, mal mehr Metal, Straight-Edge Hardcore, so Geballer,
vertrackter Kram, New School, aber es ging immer wieder zurück zu
dieser Art von Musik. Momentan gibt es, glaube ich, sehr viel mehr
Bands in diesem Genre als in den letzten Jahren.
Jussi und ich haben uns getroffen, als
Jussi bei meiner alten Band (Out for a Kill) als Gitarrist
vorgespielt hat. Das ist dann aber nichts geworden und dann haben wir
uns auch ewig nicht gesehen. Und als ich dann zurückgekommen bin
nach Marburg da haben wir uns zufällig auf einer Electro-Party
getroffen. Ich wusste, er hat noch irgendein Projekt am Start und da
habe ich ihn darauf angesprochen und so hat das angefangen.
Jussi: Gestartet ist das Ganze als
Homerecording-Projekt von mir. Ich hab zu Hause die Drums
programmiert, Bass und Gitarre eingespielt und aufgenommen, damals
noch ohne Gesang. Das war schon 2008. Da habe ich die ersten Sachen
geschrieben. Da hatte ich aber noch keine Intention das jemals Live
zu machen. Das war alles Just For Fun. Da hatte ich insgesamt so
vier, fünf Songs aufgenommen. Und das hab ich Anna vorgespielt. Als
sie dann Bock darauf hatte, darüber zu singen, erst da wurde es
konkreter. Und wir haben uns Leute gesucht und wollten dann auch
tatsächlich mal live spielen. Wir haben dann zusammen überlegt, mit
wem können wir das zusammen aufziehen. Mein Cousin, der Bronco, war
dann sofort am Start und dann haben wir die Anderen mit an Bord
geholt.
...schleppenderrrrr Kram....
UtopiaNow: Diese Art von Musik.. dieser
schleppende Kram: Könnt ihr zum Ausdruck bringen, was euch daran so
reizt?
Anna: Whoo..(lacht)... das ist
schwierig.. Ich glaube was mich daran anfixt sind mehr die
Live-Bedingungen, also mir so ein Konzert anzuschauen. Das ist die
Musik, die mich am Meisten mitnehmen kann. Und die Musik ... danach
fühlt man sich, wie soll ich denn das ausdrücken.. das ist die
Musik, die mein Herz berührt (lacht). Das ist am Intensivsten würde
ich sagen.
Jussi: Bei mir ist es eher diese
musikalische Schiene. Das hört man bei unseren ersten Songs sehr
gut, dieses Wechselspiel aus ruhigen und brachialen Parts.. bei
schleppender Musik, da kriegst du das sehr gut rübergebracht. Das
ist ja bei vielen Bands, dieses laut und leise Schema. Und das ist
etwas, wenn man das gut hinbekommt und es nicht ausgelutscht wirkt,
dann ist dieser Effekt sehr geil bei jedem Part.
Anna: Jussi wird auch
mitgenommen...(lacht).
Jussi: (grinst) .. wobei ich da gar
nicht so ein Live-Gänger bin. Auf Platte, solche Musik zuHause oder
im Auto.. und die Anlage voll aufdrehen, das ist schon genial!
Anna: Bei mir ist es so.. erst Live,
dann Auto, dann zu Hause (lacht)
(...)
UtopiaNow: Wie schreib ihr eure Musik?
Wie entstehen eure Songs?
Jussi: Die Stücke entstehen
hauptsächlich bei uns zu Hause. Der Schreibprozess hat sich im
Grunde genommen von diesem Homerecording-Projekt gar nicht viel
gewandelt. Ich wohne mittlerweile mit unserem Lead-Gitarristen Bronco
zusammen in einer WG. Und da entsteht das Meiste. Er schreibt was,
ich schreib' was, teilweise auf der Couch mit der Akkustik-Gitarre..
Oder wir probieren es dann direkt aus. Wir haben auch Amps und
Effekt-Boards zu Hause. Das ist zwar nicht Band-Arbeit dann in dem
klassischen Sinne... bei uns gibt es im Prinzip gar keine
Jam-Sessions, wie es das bei anderen Bands manchmal gibt. Allerdings
finde ich auch, werden die Lieder auch so komplex, dass du jemanden
brauchst, der sagt, ok ich hab' mir das und das überlegt an dem
Punkt: Dort gibt es jetzt einen Taktwechsel oder nen Break. Die
Arbeit hat sich halt so bewährt.
UtopiaNow: Ungewöhnlich, dass du einen Großteil der Songs schreibst, aber Schlagzeug spielst...
Anna: Ein Multi-Instrumentalist!
Jussi: Ich bin eigentlich Gitarrist.
Ich hätte am Anfang, als wir die Band gegründet haben gerne Gitarre
gespielt, aber in Ermangelung eines Schlagzeugers habe ich dann
gedacht, ok dann spiele ich halt Schlagzeug. Gitarristen gibt es
einfach öfter als Schlagzeuger. Das ist leider so.
Anna: Für mich war der Jussi am Anfang
eigentlich auch eher Gitarrist. Für mich war es auch total komisch,
dass er da am Schlagzeug sitzt.
Jussi: Jetzt funktioniert es so ganz
gut. Ich hab' mich ganz gut reingefuchst in die Rolle. Und beim
Songwriting bin ich eben noch sehr involviert. Ganz oft hat man es ja
so, wenn der Basser oder der Drummer Songs abmischen oder schreiben
sind diese Instrumente so im Vordergrund. Das kann man dadurch ganz
gut vermeiden, dass ich primär eigentlich Schlagzeug spiele.
UtopiaNow: Anna, welche Rolle, oder
welche Funktion haben die Texte für dich? Ist das ein Hintergrund um
Musik zu machen?
Anna: Die sind schon persönlich,
stehen aber inhaltlich gar nicht so im Fokus. Es ist vielleicht gut,
dass es Bands mit persönlichen Texte gibt, weil man sieht, ah die
haben auch so ihre Probleme, irgendwelche Sachen, die sie
beschäftigen. Mir persönlich würde es auch schwerfallen
irgendwelche politischen Texte zu schreiben. Ich glaube, das würde
auch nicht funktionieren. Ich will mich da auch gar nicht hinstellen
und irgendwelchen Leuten irgendwas.. das muss gar nicht so eine
krasse Aussage haben. Eher so, dass es den Leuten leichter fällt, in
diesen Song insgesamt hereinzufühlen.
Hat es Geschmeckt? "Ja, Danke" (Anna) -
Klimper, Klirr- Abgang der leergeputzten Kuchenteller. "Darf ich Ihnen
noch etwas bringen?" Haben Sie was gegen Augenkrebs? (in Gedanken)...
Anna: Vor allen
Dingen ist diese Musik für mich eine Gefühlssache. Und deswegen
sind die Texte auch eher so eine Gefühlssache.
... die Frau am Mikrofon...
UtopiaNow: Ich habe in einem Blog gelesen, das Besondere an Amber sei die Frau am Mikrofon. In Bezug auf die Musik wurden ansonsten die üblichen Genregrößen genannt. Wie findest du so nen Statement?
Anna: Scheiße! Ich will eigentlich gar
nicht den Frauen-Bonus haben. Ich bin froh, wenn mich jemand
gleichstellt mit Männern. Natürlich.. ich kann es dem Rezensenten
nicht verdenken, weil es schon was Anderes ist... gerade auf der
Bühne nochmal auffälliger, so wow, da singt ja eine Frau. Aber
eigentlich will ich nicht diesen Frauen-Bonus haben, weil ich singe
genauso wie jeder andere Typ auch. Ich glaube ich muss jetzt nicht
denken, dass ich irgendwas anders mache. Ich will ja für mein Können
bewertet werden und nicht für mein Geschlecht. Andererseits ist es
ja so, dass einem der Frauen-Bonus manchmal weiterhilft, das darf man
nicht vergessen.. schwierig.
Jussi: Wir nutzen das nicht aus, aber
man merkt es bei fast jeder Band, die eine Frontfrau oder generell
Frauen im Line-Up. Das wird immer als Besonderheit hervorgehoben.
UtopiaNow: Das findet man dann auch oft
auf Flyern: female fronted hardcore oder so...
Anna: Die Frage ist auch eigentlich
warum?! In anderen Musikrichtungen gibt es auch genug Frauen... oder
andere Musikrichtungen sind ja sogar Frauen-dominiert..
Jussi: Es ist so eine Art Exoten-Bonus
in diesem Genre. Und dann auch noch Frauen, die schreien, das gibt es
noch viel weniger. Das bedeutet dann einen Ticken mehr
Aufmerksamkeit. Man kommt gar nicht, drumherum. Wir nutzen das nicht
aus. Wir schreiben nicht auf unsere Flyer drauf Amber female-fronted
posthardcore ..
Anna: Will ich ja auch gar nicht! Ich
will ja, dass wir wegen unserer Musik gemocht werden. Und nicht weil
ich jetzt dummerweise nen Mädel bin (lacht).
UtopiaNow: Habt ihr die Tour auch
selbst gebucht?
Anna: Wir haben versucht die selbst zu
buchen, aber wir sind scheinbar noch so unbekannt, dass es nicht so
funktionier hat. Wir haben so ein bisschen Vitamin B, aber nicht
genug, als dass wir die Tour hätten vollbekommen. Ich persönlich
hab auch das Gefühl, dass uns auch noch gar nicht genug Leute
kennen, dass wir so viel spielen können. Das war harte Arbeit.
Letztlich hat jetzt André
von Narshada Records die gesamte Tour gebucht. Richtig cool!
Jussi: Der glaub an uns! Wir hatten
zuerst dieses amerikanische Label, Halo of Flies Records von Corey,
und dann ging es darum ein neues Album und dann ging es darum auch
ein europäisches Label für nen Co-Release zu finden. Und dann haben
wir rumgefragt und André
hatte sofort Bock.
Anna: Ende April kommt die neue EP, die
wir im Dezember aufgenommen haben. Wir sind gerade in der Mische.
Jussi: Wir warten noch auf die letzten
Mixes vom Studio und dann geht es in die Pressung. Ohne den André
wäre das im Prinzip alles gar nicht so möglich! Gerade bei den
Shows. Auch die Ganze Labelarbeit und die Shows, die erste Pressung,
das sind direkt 700 Stück. Alleine hätten wir das niemals stemmen
können, alleine finanziell. Auch das Tape-Release ist ja über Corey
und Andre gelaufen. Die haben da beide Bock drauf und das ist auf
jeden Fall cool! Ein tolles Gefühl, wenn man so unterstützt wird.
UtopiaNow: In welche Richtung geht denn
das neue Material?
Jussi: Es ist auf jeden Fall
melodischer geworden. Für die erste EP haben wir ja noch viel von
dem Material verwendet, dass ich alleine geschrieben habe. Bei den
neuen Sachen habe ich viel mit dem Bronco zusammen gemacht. Da sind
auch Songs komplett von ihm gekommen. Das hört man schon. Man hört
auch, Bronco hat vorher in einer Trash-Metal-Band gespielt, und er
ist dann erst durch Amber im großen Stil mit dieser Art von Musik in
Kontakt gekommen. Ich finde man hört das auch, dass das Songwriting
dadurch beeinflusst worden ist. Es ist nicht mehr ganz so....
Anna: Nicht mehr ganz so düster..
Jussi: Nicht mehr ganz so sludge mäßig,
nicht mehr ganz so schleppend. Es klingt aber weiterhin nach Amber
und auch nach einer Weiterentwicklung einer Band. So soll es auch
glaube ich sein. Wir haben uns zwar am Anfang gedacht, scheiße jetzt
klingt das nicht mehr so wie die EP, ganz so sludgig klingt es nicht
mehr.. egal so muss es auch irgendwie sein.
UtopiaNow: Da bin ich gespannt..
Anna: Wir auch, was die Welt dazu sagt.
UtopiaNow: So.. jetzt noch Fotos
machen und dann schnell rauslaufen ohne zu bezahlen (Gelächter)
Anna: ...als ich neun war, nee oder
noch jünger.. als ich sieben war, da waren wir an der Ostsee. Wir
waren immer mit zwei Familien im Urlaub. Insgesamt waren wir neun
Leute. Und in meiner Erinnerung haben wir immer ewig lange
Fahrradtouren gemacht.
Und dann sind wir immer in irgendwelchen
Restaurants gelandet. Und dann waren wir in 'ner Pizzeria und dann
hat Vaddern irgendwann gesagt, hier wir gehen heute ohne zu bezahlen
und du gehst als erstes! Aber nicht auffällig, sondern
rausschleichen (grinst). Und ich hab mich rausgeschlichen und hatte
so ein schlechtes Gewissen. Und ich dachte ohhhh..dann sind nach und
nach die Kinder rausgekommen und mein Vater hat uns total verarscht!
Irgendwann als ich erwachsen war, hab ich dann mal gefragt, habt ihr
damals eigentlich bezahlt? Das hat mir so ein schlechtes Gewissen
bereitet! Immer wenn jemand sagt, lass uns schnell gehen ohne zu
bezahlen, dann denke ich immer daran! (lacht).Das war noch der Schwank aus meiner
Jugend.
UtopiaNow: In welchem Alter hast du
nachgefragt?
Anna: Ich glaube so mit Mitte Zwanzig
ist mir das mal in den Sinn gekommen (lacht). Haben wir eigentlich
wirklich bezahlt.
UtopiaNow: Und du hast dich all die
Jahre gequält …
Anna: Lacht.. das war ein Trauma, dass
das wirklich so in meinem Kopf geblieben ist.
UtopiaNow: Danke für das Interview,
Kaffee und Kuchen!
Das komplette Interview lest ihr in der dritte Ausgabe vom UtopiaNow Zine!
Fotos Amber: http://weareamber.bandcamp.com/